Die Pflegekammer löst die Probleme in der Pflege nicht

Das Gesetzgebungsverfahren zur Errichtung einer Landespflegekammer ist in Baden-Württemberg in vollem Gange. Maßgeblich vorangetrieben wird das Gesetzesvorhaben von den Grünen und Sozialminister Lucha. Auch diverse Pflegedirektor*innen großer Kliniken rühren kräftig die Werbetrommel. Viele Befürworter*innen lassen sich auch davon nicht abhalten, dass die Berufsgruppe selbst diesem Vorhaben sehr kritisch und uneinig gegenübersteht. Das Gesetzgebungsverfahren soll nun zügig durch den Landtag gebracht werden und dann in die Errichtungsphase übergehen. Viele Pflegende sind zu der Thematik unzureichend informiert. Darum ist zu befürchten, dass die Einführung der Kammer still und heimlich vonstattengehen wird, wenn sich kein sichtbarer Widerstand unter den Pflegenden regt.

Es gibt eine parlamentarische Mehrheit für die Einführung durch die Regierungskoalition aus Grünen und CDU. Für Diskussionen im Landtag sorgt zusätzlich das vorgesehene Quorum und Registrierungsverfahren.

Kritik am Gesetzesentwurf – Quorum und Registrierungsverfahren

Voraussetzung für die Einführung einer Pflegekammer ist die Erfüllung eines sogenannten Quorums von 60%. Das heißt 60% der zukünftigen Pflichtmitglieder der Kammer müssen sich freiwillig registrieren lassen. Auf diese Weise möchte Minister Lucha eine demokratische Legitimation durch Zuspruch der Mehrheit der Berufsgruppe erreichen. ABER: Der Registrierungsprozess an sich ist ohne direkte Beteiligung der betroffenen Pflegenden nicht demokratisch. Auch von Freiwilligkeit kann nicht die Rede sein. Der Gesetzesentwurf sieht eine Registrierung durch die Arbeitgeber*innen vor. Die Betroffenen werden im Nachhinein darüber informiert und können lediglich Einspruch dagegen erheben. Sie registrieren sich also nicht freiwillig und aktiv selbst. Damit wäre die versprochene demokratische Legitimation ad absurdum geführt.

Aus zahlreichen Gesprächen mit Pflegenden wissen wir, dass den Meisten grundlegende Informationen zur Pflegekammer fehlen.

Was ist eine Pflegekammer und was sind ihre Aufgaben?

Kammern sind Organe der Selbstverwaltung für freiberuflich tätige Berufsgruppen (z.B. Apotheker*innen), denen staatliche Aufgaben übertragen werden. Der Landespflegekammer soll unter anderem die Aufgabe übertragen werden, die Bevölkerung vor unsachgemäßer Pflege zu schützen. Hauptaufgabe ist die Kontrolle über die Qualität der Arbeit der beruflichen Pflegenden. Dafür verfasst sie eine Berufsordnung, in der z.B. festgelegt ist, wie viele Fortbildungen jährlich absolviert werden müssen. Sie überprüft dann die Pflegenden auf die Einhaltung dieser Vorgaben. Dafür werden Berufsgerichte als Teil der Kammer eingerichtet. Die Mitgliedschaft in Kammern ist typischerweise verpflichtend und diese finanzieren sich über Pflichtbeiträge der Mitglieder.

Erwartungen an die PflegekammerBedenken und Kritik
Eine gemeinsame Stimme für die Pflege und zentrale Ansprechpartnerin für PolitikDiverse Pflegende ausgeschlossen (Alten-)Pflegehelfer*innen, OTA, ATA können keine vollwertigen Mitglieder werden. Es bestehen bereits Verbände und auch die Gewerkschaft als Stimme der Pflege, die die Pflegenden in freiwilliger Mitgliedschaft vereinen. Durch diese sitzt die Pflege bereits in unterschiedlichen Regierungsausschüssen und gestaltet mit.
Selbstverwaltung der Pflege auf Augenhöhe mit anderen BerufsgruppenVergleich Ärzt*innen zu Pflege ist nicht sinnvoll. Durch eine Kammer wird sich nicht ändern, dass das gesellschaftliche Ansehen von Ärzt*innen höher ist und diese im Gesundheitssystem strukturell höhergestellt sind. Krankenhäuser sind ärztlich geführt. Ärztliche Tätigkeiten (Diagnose, Therapie, …) sind maßgeblich für alle weiteren Prozesse in der Klinik, damit auch für die Arbeit der anderen Berufsgruppen und letztlich den wirtschaftlichen Umsatz. An diesen Strukturen wird die Landespflegekammer nichts ändern.
Verbessert die Arbeitsbedingungen der Pflegenden und wirkt so gegen den FachkräftemangelPflegende selbst benennen schlechte Arbeitsbedingungen als zentrales Problem für den Fachkräftemangel. Gute Arbeitsbedingungen liegen aber in der Verantwortung der Arbeitgeber*innen und sind gesetzlich oder tariflich geregelt. Die Landespflegekammer wirkt nicht direkt auf Arbeitsbedingungen.
Sorgt für bessere BezahlungNein! Die Bezahlung wird über Tarifverträge zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeber*innen geregelt.
Verbesserung bei Fort- und WeiterbildungBei Pflegenden im Angestelltenverhältnis liegt die Verantwortung bei den Arbeitgeber*innen, dies zu ermöglichen. Regelt die Landespflegekammer Fort- und Weiterbildungen, wird die Verantwortung auf die Pflegenden selbst abgewälzt. Fortbildungspunkte werden von den einzelne Pflegenden eingefordert. Die Arbeitgeber*innen werden durch dieses Gesetz aber nicht zur Freistellung dafür verpflichtet. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Pflegenden Fortbildungen in ihrer Freizeit absolvieren müssen.
Pflegequalität wird sichergestelltPflegende arbeiten fast ausschließlich im Angestelltenverhältnis. Die Qualität an ihrem Arbeitsplatz zu sichern, ist die Aufgabe der Arbeitgeber*innen. Eine Berufsaufsicht wie bei freiberuflich tätigen Berufsgruppen (Bsp. Rechtsanwält*innen) ist nicht notwendig. Bestehende Qualitätsmängel liegen an den schlechten Rahmenbedingungen im Gesundheitssystem. Diese werden auf bundespolitischer Ebene beeinflusst, nicht von einer Landespflegekammer.

Wir als Netzwerk-solidarisches-Gesundheitswesen kommen deswegen zu diesen Schlussfolgerungen:

Pflegende benennen die schlechten Arbeitsbedingungen als das Hauptproblem ihrer Berufsgruppe. Sie können unter diesen Rahmenbedingungen ihrer Tätigkeit nicht so nachgehen, wie sie es gelernt haben.

Aus Gesprächen wissen wir, dass Pflegende große Erwartungen an die Kammer haben, diese Rahmenbedingungen zu verbessern.

Es ist absehbar, dass sie in diesen Erwartungen enttäuscht werden. Denn die Kammer hat keinen direkten Einfluss auf die Arbeits- und Rahmenbedingungen.

Niedersachsen und Schleswig-Holstein hatten für wenige Jahre eine Pflegekammer. Diese wurden 2021 auf Basis von Mitgliederentscheiden wieder aufgelöst. Die Mitglieder bemängelten, sie könnten keine Verbesserung ihrer Arbeitssituation spüren. Diese beiden Beispiele zeigen, dass die Pflegenden erwarten, dass die grundlegenden Probleme ihres Berufsstandes bald gelöst werden, damit sie endlich im Arbeitsalltag Erleichterung erfahren. Eine Kammer ist dafür keine Lösung.

Pflegende brauchen eine Veränderung in der Finanzierung im Gesundheitssystem, ein Arbeiten ohne Druck durch Profitgier, eine gesetzliche Personalbemessung für gute Arbeitsbedingungen, eine angemessene Bezahlung und eine starke Gewerkschaft. Pflegende sind in Verbänden versammelt. Pflegende äußern seit Jahrzehnten deutlich, was sie brauchen. Die Politik muss sie nur ernst nehmen und handeln. Deswegen fordern wir, dass das Gesetzgebungsverfahren zur Einführung der Landespflegekammer in Baden-Württemberg sofort gestoppt wird.