Groteske Fehlleistung

Pressmitteilung des Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte:

Gesundheitsminister Spahn setzt Pflegepersonaluntergrenzen im Krankenhaus wegen Coronavirus außer Kraft


Per Kurznachrichtendienst teilte das Bundesgesundheitsministerium am 4. März mit, dass die Pflegeperso- naluntergrenzen in Krankenhäusern wegen des Coronavirus „bis auf weiteres“ außer Kraft gesetzt wurden. (1) Somit setzt Herr Spahns Ministerium genau jene Bestimmungen aus, die ein Minimum an Pati- entinnensicherheit in Krankenhäusern unter Hochdruck garantieren sollen. Denn: Nie ist das Gefährdungsrisiko und deshalb das Einhalten von Sicherheitsbestimmungen so wichtig wie in einer Stresssituation. Im Krankenhaus bedeutet das: Falls es tatsächlich im Zuge einer Coronavirus- Epidemie zu einer sprunghaften Zunahme stationär behandlungsbedürftiger Patientinnen und dabei zu einer Überlastungssituation in den Krankenhäusern kommen sollte, müssen Prioritäten gesetzt werden. Jens Spahn sagt sehr richtig: „Die Krankenhäuser müssen bei der Personalplanung flexibel auf die Ausbrei- tung des Coronavirus reagieren können.“ Jedoch kann dies aus Sicht des vdää nicht bedeuten, dass Sicher- heitsstandards unterlaufen werden, wie Jens Spahn weiter verlautbaren lässt: „Deshalb entlasten wir sie in dieser Lage bis auf weiteres von Dokumentationsaufwand und Auflagen in der Pflege.“
Leider das Entscheidende falsch verstanden, Herr Spahn!
Wer jetzt die Mindestbesetzungsregeln in der Pflege vom Tisch wischt, riskiert, dass das Krankenhaus wie eine Fabrik auf höchsten Touren weiterläuft, das Personal im Falle einer starken Zunahme der Pati- entinnenzahlen überlastet und die Sicherheit der Patientinnen in den Krankenhäusern ohne Not gefähr- det wird, etwa indem Mindestzeiten bei der Händehygiene aufgrund Personalmangels nicht eingehalten werden können.
Die richtige Reaktion wäre aus unserer Sicht: Behandlungen und Wahleingriffe ohne akute Dringlichkeit auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, um sich auf die – ressourcenintensive – Versorgung von ver- meintlich und tatsächlich infektiösen Notfallpatientinnen konzentrieren zu können. „Die erstbeste Gelegenheit zu nutzen, um die für die Vertreterinnen der Krankenhausökonomisierung ungeliebten Pflegepersonaluntergrenzen auszusetzen, ist kein Krisenmanagement, sondern ein billiger Taschenspielertrick“, so Dr. Thomas Kunkel, Krankenhausarzt und Ko-Vorsitzender des vdää. „Bereits im Normalbetrieb führt die massive Arbeitsverdichtung durch Steigerung der Fallzahlen bei immer kürzeren Liegedauern zu inakzeptablen Belastungen der Krankenhausmitarbeiterinnen. Die 2019 eingeführten Personaluntergrenzen liegen immer noch unter der für das Personal verträglichen Schmerzgrenze (2) und haben – ungeachtet der jetzigen Diskussion – das Potential, die Missstände zu zementieren, wenn die Un- tergrenze von den Geschäftsführungen als neuer Standard gesetzt wird. Diese prekäre Situation zu ver- schärfen, um trotz Influenza- und Corona-Virus Ausbruch weiterhin Profite machen zu können, ist medizi- nisch unverantwortlich gegenüber den Patientinnen und unseren Kolleg*innen in Pflege und ärztlichem Dienst.“

Dr. Nadja Rakowitz (Pressesprecherin des vdää)

1)https://twitter.com/BMG_Bund/status/1235148339844435968; https://www.hcm-magazin.de/pflegepersonal- vorgaben-fuer-kliniken-ausgesetzt/150/27350/399578
2)https://www.dgni.de/presse/681-vorgabe-von-untergrenzen-ist-keine-geeignete-loesung-zur-entspannung-der-personalbelastung-in-der-pflege.html